top of page

 01

  Wittenberg  

Schulchaos und Präventionsarbeit der Polizei an Grundschulen und Kitas

Peggy Kutzner

regionalbereichsbeamtin peggy kutzner von der polizei wittenberg sitzt am schreibtisch und korrigiert die aufgaben der schüler

Juliane Graichen, Projektleiterin
Foto: Denny Kleindienst

Die Polizei, dein Freund und Helfer: Engagement in Wittenberger Schulen

  Jonas Lohrmann  

Regionalbereichsbeamtin Peggy Kutzner von der Polizei Wittenberg ist vor allem in Grundschulen aktiv. Was ihre Aufgaben sind und wofür sie sich einsetzt.

Vor der Grundschule Friedrich Engels in Piesteritz herrscht das übliche Chaos. Elterntaxis eilen, um ihre Kinder noch rechtzeitig abzuliefern, nicht alle halten sich dabei an die Verkehrsregeln. Ein roter Kleinwagen steht bereits seit zehn Minuten mitten im absoluten Halteverbot. Er erzeugt nicht nur einen erheblichen Rückstau, sondern zwingt andere Autofahrer, die durchgezogene Linie zu überfahren, wodurch sie den Gegenverkehr behindern und gefährliche Situationen provozieren. Ein Schauspiel, das für die Eltern zur Routine geworden ist.

An diesem Morgen ist Peggy Kutzner, Polizeihauptmeisterin, die als Regionalbereichsbeamtin normalerweise hier vor der Schule den Verkehr überwacht, unplanmäßig noch woanders. So nimmt das Chaos ungehindert seinen Lauf. „Eltern sind im Stress und die Emotionen kochen hoch“, sagt Kutzner, als sie eingetroffen ist. „Wenn die Polizei am Rand steht, dann klappt es“. Ermahnt sie Falschparker, folgt oft eine typische Gegenfrage: „Warum ich und nicht er?“ – ein Verhalten, das an den Kindergarten erinnert.

Regionalbereichsbeamte leisten Prävention und mehr

Für die Polizistin ist dies der Alltag – doch ihre Aufgabe geht weit über die bloße Verkehrsüberwachung hinaus. Gemeinsam mit drei weiteren Regionalbereichsbeamten betreut sie 13 Grund- sowie Förderschulen und 30 Kitas in Wittenberg. Prävention ist das Schlüsselwort ihrer Arbeit, aber auch die Begleitung von Veranstaltungen, Fußstreife, Fahrradschutz und die Fahrerermittlung gehören zu ihren Aufgaben.

fahrradparkour_grundschule_friedrich-engels_piesteritz.jpg

Theorie und Praxis: Fahrradführerschein unter Druck

Im Unterrichtsraum der Grundschule herrscht eine konzentrierte Ruhe. Hier bearbeiten die Kinder der Klasse 4b Aufgaben in einem Malheft, die sich mit dem Thema Straßenverkehr beschäftigen. „Heute geht es um das verkehrssichere Fahrrad, das Rechtsfahrgebot, die Vorfahrt und das sichere Abbiegen“, sagt die Polizistin zu den Kindern. Auf dem Schulhof wartet ein vorbereiteter Parkour, auf dem die Kinder das Erlernte praktisch anwenden sollen.

Während die Kinder im Musikraum die Aufgaben im Malheft bearbeiten, die später von der Polizistin korrigiert werden, darf jeweils ein Schüler an den Fahrradsimulator, um einen Reaktionstest zu machen. Hierbei werden pro Kind drei verschiedene Situationen im Straßenverkehr zufällig simuliert. Die Kinder müssen schnell und richtig reagieren. Die Begeisterung der Schüler für die moderne Technik ist an dem Tag spürbar – vor allem die Virtual-Reality-Brille sorgt für Neugier. Doch leider streikt sie an diesem Tag.

Die theoretischen Ergebnisse sind meist ernüchternd. „Besonders viele Fehler schleichen sich im Bereich Vorfahrt, Vorbeifahren an Hindernissen oder beim Linksabbiegen ein“, bestätigt Kutzner. Diese Fehler würden sich auch später bei der praktischen Prüfung manifestieren. Die Resultate sind hier eher durchwachsen: „Ein Drittel fällt im Durchschnitt durch die Fahrradprüfung“, berichtet Kutzner und ergänzt, dass die Kinder dennoch hoch motiviert sind.

 

Früher gab es noch die Möglichkeit von Nachprüfungen für diejenigen, die durchgefallen sind. Doch das ist heute bei der großen Schüleranzahl in der Praxis nicht mehr realisierbar.

unterricht_mit_regionalbereichsbeamtin_peggy-kutzner_polizei-wittenberg.jpg

Sicherheit im Straßenverkehr: Ein langer Lernprozess

„Mit zehn Jahren sind die Kinder vollwertige Mitglieder im Straßenverkehr“, betont Kutzner, wie wichtig die umfassende Vorbereitung ist. Schulen haben das erkannt und nutzen dafür nicht nur die Angebote der Polizei, sondern auch die des ADAC oder des Verkehrsübungsplatzes in Oranienbaum.

Die morgendliche Verkehrssituation verdeutlicht jedoch ein tieferliegendes Problem, das die Regionalbereichsbeamtin auch aufgreifen möchte: Die mangelnde Rücksichtnahme und das fehlende Zusammenspiel zwischen Elternhaus und Schule. Kutzner appelliert eindringlich an die Eltern, mehr Rücksicht zu nehmen. „Die Kinder können auch mal ein paar Meter laufen. Sie müssen nicht direkt vor dem Schultor abgesetzt werden“, betont die Polizeihauptmeisterin.

Herausforderungen für die Prävention: Digitale Welt und Schulalltag

Neben der Verkehrserziehung ab der dritten Klasse gibt es weitere Präventionsangebote. „Das Angebot ist groß und reicht von den Fahrradübungen bis hin zu Sachbeschädigung, Diebstahl, Körperverletzung und Cybermobbing“, erklärt Peggy Kutzner.

Diese Themen werden eng mit den Schulen abgestimmt und manchmal auch situationsbedingt angepasst, etwa wenn in einer Klasse Fälle von Diebstahl auftreten.

Auch das Smartphone ist längst ein fester Bestandteil im Leben der Kinder und führt zu neuen Problemlagen. „Wir bieten ab der zweiten Klasse Themen rund um das Handy an“, sagt sie. Es ist heute keine Seltenheit mehr, dass ein Smartphone bereits in der Zuckertüte zur Einschulung liegt.

Kritik und Akzeptanz: Mit der Dienstwaffe in der Schule

Was Kutzner besonders stört, ist, wenn Eltern ihre Kinder mit der Polizei drohen: „Da kommt die Polizei. Wenn du jetzt nicht hörst, dann nehmen sie dich mit.“ Es widerspricht völlig ihrer Aufgabe. Denn sie möchte das Vertrauen der Kinder gewinnen und ihnen helfen, die Regeln des Miteinanders zu verstehen. Die Präventionsarbeit der Polizei wird dabei von den meisten Eltern gut angenommen. Doch es gibt auch kritische Stimmen. „Einige Eltern stören sich daran, dass wir mit Dienstwaffe in die Schule kommen“, sagt Kutzner. Dabei sei unverzichtbar, die Waffe zu tragen, da sie jederzeit in einen echten Fall gerufen werden können. „Da bleibt keine Zeit, erst noch ins Revier zu fahren, um die Waffe zu holen“, legt sie dar.

Der erste eigene „Führerschein“ im Leben der Grundschüler hat für die Kinder eine große Bedeutung. Kritisiert wird daher auch der Druck, der durch das Nichtbestehen entstehen kann. Er steht nicht nur für eine erworbene Fähigkeit, sondern auch für das Gefühl, dazuzugehören und Teil der Gemeinschaft zu sein. Doch vor Ort zeigt sich ein anderes Bild: Eine Schülerin, die aus Nervosität über die Hütchen des Parcours fuhr, zahlreiche Stationen nicht schaffte und später weinte, wurde getröstet und für ihre Leistung gelobt. Die Reaktionen der Eltern auf die Prüfung sind gespalten: „Manchen Eltern ist es sehr wichtig – die möchten auch unbedingt eine Nachprüfung arrangieren“. Andere Eltern sehen das Ganze gelassener: „Es hängt ja nichts davon ab“, zitiert Kutzner solche Stimmen, die den Wert der Prüfung relativieren.

figur_held.png

Als „Alltagsheldin“ sieht sich Peggy Kutzner übrigens nicht, obwohl ihr genau dieser Titel auf einer Tasse, die sie von einer Kita geschenkt bekam, verliehen wurde. Ihr Appell an die Vernunft und das Miteinander bleibt jedoch: Nur gemeinsam können Eltern, Lehrer und Polizisten dafür sorgen, dass der Schulweg sicher ist, damit die Kinder nicht nur in ihren Heften lernen, was richtig und falsch ist, sondern auch auf den Straßen.

© Jonas Lohrmann

bottom of page