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  Magdeburg  

Wichtiger Anker in seelischer Not

Matthias Dambacher

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Juliane Graichen, Projektleiterin
Foto: Denny Kleindienst

Ein offenes Ohr für Menschen in Not: Die Telefonseelsorge in Magdeburg

  Jana Heut  

Matthias Dambacher engagiert sich seit 17 Jahren ehrenamtlich für die Telefonseelsorge. Die Arbeit ist für ihn sehr wertvoll, doch es werden weitere Helfer gebraucht, um das Telefon durchgehend besetzen und stets Hilfe für die Menschen anbieten zu können.

Jedes Mal, wenn Matthias Dambacher seinen Platz in der Magdeburger Telefonseelsorge einnimmt, warten vier Stunden intensiver Arbeit auf ihn. Er ist gut gerüstet für das, was da kommt. Der 44-Jährige ist lange genug dabei, um belastende Gespräche verarbeiten zu können. Draußen steht meist sein Rad, mit dem er nach Hause fahren wird, um so den Kopf wieder freizubekommen. Denn das Telefon wird in den vier Stunden pausenlos klingeln.

 

Der Bedarf an dem kostenlosen Angebot ist groß. Gerade jetzt in Krisenzeiten. 13.000 Anrufe wurden allein 2023 von den Magdeburger Telefonseelsorgern angenommen. Verzweifelte Anrufer hoffen hier auf Hilfe. Oder besser gesagt: Sie hoffen zuallererst auf einen guten Zuhörer. Es gehe erschreckend oft um Einsamkeit, erzählt der Seelsorger. Es gehe um Frust im Job oder in der Partnerschaft, um den Kampf gegen Süchte und finanzielle Ängste, die in letzter Zeit besonders zugenommen hätten. Einige Anrufer leiden unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Die Spanne reiche bis zu selbstverletzendem Verhalten und suizidalen Gedanken. „Es sind alle Themen dabei, die man sich vorstellen kann“, sagt er.

Seit 17 Jahren arbeitet der Magdeburger ehrenamtlich in der Telefonseelsorge Magdeburg/nördliches Sachsen-Anhalt mit. Er hat gelernt, gut zuzuhören und auf sein Gegenüber einzugehen. Die Zusicherung der Anonymität ist dabei wesentlicher Grundsatz. So trauen sich die Anrufer, über Dinge zu reden, die sie sonst niemandem anvertrauen würden. Ein weiterer Leitsatz der Telefonseelsorger lautet: „Mitgefühl ja, Mitleid nein“. Dass er sich einmal um die seelischen Notlagen wildfremder Menschen kümmern, ihnen stundenlang zuhören würde, ohne etwas dafür zu erwarten, hätte der Wahl-Magdeburger wohl selbst nicht gedacht. Denn im Berufsleben beschäftigt ihn ganz anderes. Der 44-Jährige ist seit März 2023 Leiter der EU-Prüfbehörde des Landes Sachsen-Anhalt, zuvor war er bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt tätig.  Da geht es um Geld und nackte Zahlen und so gar nicht um Gefühle. Aber das ist wichtig für die Telefonseelsorge. Man benötigt dafür Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft mit den unterschiedlichsten Lebenserfahrungen, die sich auf die Anrufer gut einstellen können.

24 Stunden, sieben Tage die Woche

Ein Zufall führte den 44-Jährigen zur Telefonseelsorge. „Ich stamme aus München und habe Wirtschaftsgeografie studiert. Etwas ziemlich Exotisches“, so beschreibt er es selbst. Dass danach das Stellenangebot aus Sachsen-Anhalt kam, war für ihn ein Glücksfall, wie er heute weiß. Im Dezember 2006 zog er nach Magdeburg und hat sich ganz schnell verliebt: In den Job, in die Stadt an der Elbe und in den neuen Mann an seiner Seite. Vor gut vier Jahren haben sich die beiden - Matthias und Mathias - im Magdeburger Dom kirchlich trauen lassen. „Wir waren das erste gleichgeschlechtliche Paar, das dort geheiratet hat. Das war einmalig“, schwärmt der ehrenamtliche Seelsorger. Für ihn schloss sich damit der Kreis. Im Herzen sei er längst Magdeburger geworden, sagt der 44-Jährige. Dazu gehört eben auch sein Engagement für die Telefonseelsorge.

 

2006, noch ganz frisch in Magdeburg, zappte er eines Abends durchs TV-Programm und landete bei einem lokalen Sender, auf dem Werbung für eine Mitarbeit bei der Telefonseelsorge lief. „Ich habe während meines Studiums selbst schwere Zeiten mit Zukunftsängsten erlebt. Ich war so froh, dass es damals Menschen gab, mit denen ich reden konnte“, erinnert sich Matthias Dambacher dankbar.

Das erste Gespräch mit dem früheren Leiter der Telefonseelsorge lief prima. Dennoch lag das ausgefüllte Antragsformular noch zwei Wochen auf dem Stubentisch, bis er es abschickte. „Diese Aufgabe bewältigst du nicht mal eben so nebenbei“, ahnte er. Doch er wollte helfen, wollte diese so wichtige Arbeit leisten gemeinsam mit allen anderen im Team der Telefonseelsorge.

Etwa ein Jahr dauert die kostenlose, intensive Ausbildung, in der es um Gesprächsführung, Selbstreflexion und zu vermittelndes Fachwissen geht. Hier werde man eingehend mit eigenen Erlebnissen, Gefühlen und Erfahrungen konfrontiert, erläutert der Seelsorger, der inzwischen auch ausgebildeter E-Mail-Berater ist und an der Seite von Leiterin Anette Carstens zudem neue Helfer am Telefon schult. Diese werden händeringend gesucht, denn aus privaten Gründen steigen auch immer mal wieder Mitarbeiter aus.

75 ehrenamtliche Helfer sind es derzeit, die 24 Stunden, sieben Tage in der Woche, für die Anrufer da sind. „Diese Anzahl brauchen wir dringend, um das Telefon rund um die Uhr besetzen zu können. Im Januar startete wieder ein Kurs“, macht der 44-Jährige deutlich. Die Mitarbeiter verpflichten sich, mindestens zwölf Stunden jeden Monat im Ehrenamt Vier-Stunden-Schichten am Telefon zu leisten. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Bei Matthias Dambacher sind es im Schnitt 20 Stunden im Monat, die er von seiner Freizeit abgibt, um für andere da zu sein. „Wir haben Telefonseelsorger, die sind schon 20 oder 25 Jahre dabei und kommen sogar aus Stendal“, erzählt er voller Respekt für seine Mitstreiter.

Auch die Helfer brauchen Hilfe

Bei der jährlichen Leseraktion der Volksstimme für den Magdeburger des Jahres hat er immer gern mit abgestimmt, erzählt er. Dass er im Jahr 2022 selbst Kandidat und am Ende Zweiter geworden ist, freut ihn ungemein. „Ich sehe mich hier stellvertretend für alle, die sich im Team der Magdeburger Telefonseelsorge mit großartigem Zusammenhalt untereinander engagieren“, betont er. Manchmal brauchen die Helfer aber auch selbst Hilfe. „Einmal im Monat treffen wir uns zur Supervision mit einem externen Experten. Hier werden besonders belastende Gespräche aufgearbeitet, Dinge, die unter die Haut gegangen sind“, weiß der Seelsorger. Denn die Helfer müssen einiges aushalten. Beschimpfungen etwa. Das kostenlose Angebot der Telefonseelsorge wird leider auch manchmal für andere Zwecke missbraucht. All das müsse verarbeitet werden und dabei helfe die Supervision, die auch über Spenden finanziert wird.

Zum Glück überwiegen aber die Anrufer, die ehrlich ein offenes Ohr suchen. „Ich habe in jedem Dienst mindestens einen Anrufer, bei dem ich das Gefühl hatte, dass ich wirklich helfen konnte“, berichtet er. Mit diesem guten Gefühl steigt Matthias Dambacher dann aufs Rad, um nach Hause auf den Werder zu radeln. „Ja, das Gute überwiegt eindeutig“, betont er.

Es ist für ihn wie auch für die anderen Helfer Motivation genug, sich immer wieder neu ans Telefon zu setzen und Anker zu sein in seelischer Not. 

©Viktoria Kühne/ Patrick Pleul/dpa

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