Burgenlandkreis
Alltagsheldin für kulturelle Verständigung
Liudmyla Kapustina
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Juliane Graichen, Projektleiterin
Foto: Denny Kleindienst
Eine Ukrainerin baut Brücken und wird dafür ausgezeichnet
Margit Herrman
Liudmyla Kapustina erhielt für ihre unermüdliche Unterstützung ihrer ukrainischen Landsleute den Ehrenamtspreis der Stadt Zeitz 2024. Nun erzählt sie, woher sie die Kraft nimmt, anderen zu helfen. In der Stadt hat sie mit anderen Ukrainerinnen unter anderem ein Zentrum für Integration und Kulturaustausch gegründet.
Es klingelt. Liudmyla Kapustina öffnet die Tür am Roßmarkt 4 in Zeitz. Vor der Ukrainerin stehen einige ältere Frauen, die sie herzlich in ihrer Muttersprache begrüßen. Liudmyla Kapustina bittet die Frauen ins Ukrainische Zentrum. „Mit unserer Vereinsarbeit bauen wir eine Brücke zwischen den Ukrainern und den Einheimischen.“ Angeboten werden Sprachgruppen für Senioren, Lesungen, Kunst- und Theaterstudium, Kinderchor sowie Krabbelgruppe. „Wir unterstützen die hier lebenden Ukrainer, fördern den Kulturaustausch und die Toleranz“, erzählt Liudmyla Kapustina, die vor zweieinhalb Jahren in die Elsterstadt kam. „Wir geben den Menschen eine Aufgabe, damit sie sich gebraucht fühlen. Sie sind in erster Linie keine Migranten, sondern Menschen mit Berufen und Begabungen.“
Liudmyla Kapustina hilft bei alltäglichen Dingen, aber auch bei der Arbeitssuche. Dieses Engagement wurde von der Stadt Zeitz mit dem Ehrenamtspreis belohnt. „Mit diesem Preis bedanken wir uns bei den Menschen, die viel Zeit und Energie einsetzen, um andere zu unterstützen“, so der Zeitzer Oberbürgermeister Christian Thieme (CDU). „Liudmyla Kapustinas kultureller Horizont und ihre Erfahrungen helfen dabei, neue Ideen sowie Projekte in die Stadt Zeitz zu bringen.“ Doch warum setzt sich die 40-jährige Frau für ihre Landsleute ein? „Gibt es eine Möglichkeit, dies nicht zu tun?“, fragt sie. „In meinem Weltbild nicht. Wenn man freie Kapazitäten hat, sollte man nicht zögern, das Leben von anderen Menschen zum Besseren zu verändern.“
Familie hat schon viel durchgemacht
Ihre freiwilligen Aktivitäten in der Ukraine konzentrierten sich auf persönliche Beiträge wie Blutspenden, Mülltrennung und Spendenläufe. Das hat sich mit der Flucht nach Deutschland geändert. Sie habe sich nie als schwache Person betrachtet. Bereits ihre Vorfahren hätten eine Reihe von schwierigen Ereignissen durchgemacht: die Hungersnot in den 1930er Jahren, die Besetzung von Kiew (Kyjiw) während des Zweiten Weltkrieges und den Zwischenfall im Atomkraftwerk Tschernobyl. „Es macht mich stärker, dass meine Familie das alles überlebt hat, und ich weiß, dass auch der Krieg vorübergehen wird.“
Liudmyla Kapustina denkt positiv, auch wenn sie bereits einen steinigen Weg zurückgelegt hat. Die zweifache Mutter kam 2022 aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew über Umwege nach Zeitz. In den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges wurde ihre Heimatstadt bombardiert. „Es gab kein Entkommen“, erinnert sich die 40-jährige Frau. „Meine Familie musste im Keller übernachten, da die Straßen, die aus Kiew herausführten, gesperrt waren. Es ist schrecklich, dass es in unserer Zeit immer noch Kriege gibt, Zivilisten getötet werden, kulturelles Erbe zerstört wird und Kinder entführt werden, um ihre Identität auszulöschen.“
Da ihr wehrpflichtiger Mann das Land nicht verlassen darf, beschloss Liudmyla Kapustina, allein mit den Kindern zu flüchten. „Ich habe mit meinen beiden Töchtern die polnische Grenze zu Fuß überquert; es war sehr kalt“, beschreibt sie die Flucht. „In Krakau wurde uns klar, dass die Stadt schon voll ist. Durch Zufall haben wir erfahren, dass es in Zeitz noch Platz gibt. Also machten wir uns mit dem Zug auf die zwölfstündige Reise. Das war für uns ein Sprung ins Unbekannte.“
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Dank Liudmyla Kapustina und weiteren engagierten Menschen können sich die ukrainischen Seniorinnen regelmäßig in einer Sprachgruppe im Ukrainischen Zentrum in Zeitz treffen.
In Zeitz angekommen
Während der ersten Monate fanden ihre Familie und weitere Schutzsuchenden in Räumlichkeiten der Moritzburg Zeitz Platz für Theater und Kunst. „Der Mensch braucht Regelmäßigkeiten und eine sinnvolle Beschäftigung“, begründet Liudmyla Kapustina das kulturelle Ansinnen in dieser schweren Zeit. Die Ukrainerin knüpfte schnell Kontakte. Nach sechs Monaten gründete sie gemeinsam mit Nataliia Kyrychenko und Olena Tochylkina das Ukrainische Zentrum für Integration und Kulturaustausch.
Liudmyla Kapustina hat Fuß gefasst und ist stolz darauf, „dass es mir und meinen Kolleginnen gelungen ist, in Zeitz eine starke ukrainische Gemeinschaft zu schaffen, die sich unterstützt, Freude und Trauer teilt, Zeitz und seine Bürger kennenlernt, sich vor Ort für die Menschen öffnet.“ Sie freut sich, ihren Landsleuten in Zeitz helfen zu können. Dennoch blättert sie gern im ukrainischen Buch und denkt an ihre Familie und ihre Freunde. „Auch an guten Kaffee, die grünen Hügel von Kiew, die Brise des breiten Flusses Dnipro und eine Fahrradfahrt an ihm entlang“, wie sie sagt.
©Margit Herrmann