Altmark
Schon als Kind in Engel verliebt
Karin Froreck

Juliane Graichen, Projektleiterin
Foto: Denny Kleindienst
In Schönhausen kann eine Alltagsheldin viel über Otto von Bismarck erzählen
Andrea Schröder
Die Schönhauserin Karin Froreck begeistert als ehrenamtliche Kirchenführerin Gäste mit ihrem Wissen über Baukunst und Bismarck.
Wer als Besucher in der Kirche Sankt Marien und Willebrord in Schönhausen auf die 64-Jährige trifft, kann viel erfahren über die Baukunst des Gebäudes, die in der Romanik ihren Anfang nahm, und über den ersten deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck. Die Kirchenführerin hat sich über Jahre viel Wissen angeeignet und gibt es gern weiter. Sie sprüht geradezu vor Begeisterung, wenn sie den Wissensdurst der Besucher stillen kann. Das hat viele Gründe.
„Ich hatte schon als Kind immer mein Engelchen und habe mich sehr für die Kirche interessiert, auch wenn meine Familie nicht christlich war“, denkt Karin Froreck zurück. Heute hat die 64-Jährige ihren Lieblingsengel. Es ist der Taufengel am Altar. „Ich habe ihn Johannes getauft“, sagt die gebürtige Schönhauserin. Seit 2008 ist sie ehrenamtliche Kirchenführerin. Zudem ist sie für fünf Stunden pro Woche angestellt und kümmert sich zum Beispiel um Dekorationen in Kirche und Winterkirche. Gerade ist sie mit der weihnachtlichen Ausstattung beschäftigt und hat schon so manches Adventsgesteck fertig.
Weil ihre Mutti schwerkrank war, zog Karin Froreck vor Jahren von Stendal zurück in ihr Heimatdorf und pflegte sie zehn Jahre lang. Da führte ihr Weg wieder oft in die Kirche. Im Frühjahr 2008 wurde sie gefragt, ob sie als Kirchenführerin mitwirken würde. Sie könne doch Besuchern ein bisschen was erzählen.
Als sich dann im Februar 2009 eine große Reisegruppe ankündigte, hatte sie Angst, dass sie das nicht bewerkstelligen kann. „Doch es war richtig toll und hat Spaß gemacht.“ Inzwischen macht sie ihr Ehrenamt ganz routiniert und hat sich zur Perfektionistin entwickelt. „Irgendwann hat mich damals ein Besucher etwas gefragt, worauf ich nicht antworten konnte. Da dachte ich mir, das passiert dir nicht noch mal, und ich habe mir Bücher gekauft und Chroniken gewälzt, um mir viel Wissen anzueignen. Eine große Hilfe war mir dabei Brigitte Neumann, die auch als Kirchenführerin gearbeitet hat.“
Schreibblock und Stift hatte sie stets parat, um sich wichtige Informationen zu notieren. Als sie sich mit der Architektur des 1212 geweihten Backsteinbaus beschäftigte, sorgte sie im benachbarten Bismarck-Museum für Neugier. „Sie fragten sich, ob ich die Steine zähle. Aber nein, ich wollte alles genau wissen und habe es mir angesehen“, erzählt Karin Froreck mit einem Schmunzeln. Vieles hat sie im Kopf. „Was mich interessiert, behalte ich auch.“ Dabei geht es ihr nicht vorrangig um Jahreszahlen, damit kann man Besucher schnell langweilen. Vielmehr sind es Geschichten und Anekdoten, die interessieren.

Der Ursprung der Schönhauser Kirche Sankt Marien liegt in der Romanik.
Nicht alles ist rosarot
Da bietet die Familie von Bismarck, die von 1562 bis Ende 1944 in Schönhausen lebte, ausreichend Stoff. „Ich gehe in die Menschen rein, will wissen, was sie hier gemacht und erlebt haben. Dazu habe ich viel in Chroniken gelesen und mir von älteren Schönhausern erzählen lassen.“ Befragt nach ihrem Favoriten, sagt sie ganz klar Otto (1815 bis 1898). Sie nennt ihn liebevoll Ottochen – „das hat seine Frau immer zu ihm gesagt“ – und fühlt sich ihm verbunden.
„Ich sehe zwei Ottos. Einmal den, der auf Blut und Eisen schwor, und dann den unheimlich sensiblen Otto“, sagt Karin Froreck und erzählt von einem Resümee des Reichskanzlers, das er kurz vor seinem 80. Geburtstag gezogen hatte. Darin spricht er von Dingen, die er in seinem Leben nicht gern gemacht habe, und ist traurig darüber, dass er zu wenig Zeit für seine Familie und sein Gut gehabt habe. „Er war ein schlauer Kopf und hat viel Fortschrittliches gebracht, zum Beispiel die Sozialversicherung und die standesamtliche Trauung. Aber er konnte auch toben und hat Kriege ausgelöst. Es ist nicht alles rosarot, aber das ist das, was mich berührt. Und manchmal habe ich das Gefühl, als hätte ich mit Ottochen schon mal Kaffee getrunken.“
Berührt ist sie auch von Augustus II. von Bismarck, dem Ururgroßvater Ottos, und seiner Frau Dorothee Sophie von Katte aus Wust. Er ließ nach dem 30-jährigen Krieg Gut II in Schönhausen bauen, war Landrat und hat sich für die Armen eingesetzt. „Sich um andere zu kümmern, das hat Otto von ihm geerbt“, sagt Karin Froreck.
Sie kann viele Geschichten erzählen. Und das gefällt den Besuchern. Manche bleiben länger, als sie ursprünglich wollten, und hören ihr einfach zu. Dabei schaut sie nicht auf die Uhr. Sie erinnert sich an einen alten Mann von weiter her, der an die Kirche kam, als sie zum Feierabend die Tür gerade abschließen wollte. Er war traurig, dass das Museum schon geschlossen war, dabei wollte er doch so gern in Bismarcks Geburtsort viel erfahren. „Wir haben lange miteinander gesprochen und zum Schluss erzählte er mir unter Tränen, dass in seinem Wohnzimmer ein Bild von Bismark hängt, auch das hat mich sehr berührt.“

Diese Tafel erinnert in Bismarcks Taufkirche an den Reichskanzler.
Immer ein offenes Ohr
Nicht immer ist sie als Kirchenführerin gefragt. Sie hat Gespür dafür, was Menschen wollen, und zieht sich auch zurück, wenn sie Ruhe wollen. „Andere wiederum wollen einfach nur reden und erzählen, was ihnen auf der Seele liegt. Manchmal hilft es, einfach nur zuzuhören, und manch einem fällt es leichter, mit einem Fremden zu reden.“ Sie erinnert sich an zwei Freunde, von denen einer unheilbar krank war, der aber immer wieder gern in die Kirche kam, wenn es ihm einigermaßen gut ging. „Mit einem großen Hut wie Otto, er hat immer rumgealbert und wollte auf jeden Fall wiederkommen, wenn der Altar fertig saniert ist. Irgendwann kam sein Freund dann leider allein wieder.“
Kommen Kinder in die Kirche, gestaltet sie die Führung ganz anders und vor Weihnachten verschenkt sie gern mal Fröbelsterne. Gut in Erinnerung ist ihr geblieben, als Schüler aus der Grundschule nach der Führung von der Kanzel ein Weihnachtslied für sie gesungen haben. Auch auf Reisegruppen mit alten Leuten ist sie eingestellt, merkt genau, wenn sie nach mehreren Stationen schon kaum noch aufnahmefähig sind. Dann unterhält sie ihre Gäste eben mit Sprüchen von Bismarck oder erzählt im Bismarck-Park von den Kanonen oder der Herkules-Figur, der Otto einst in den Hintern geschossen haben soll.

Drei Ehrenamtliche
„Wohnen Sie hier schon?“, wurde Karin Froreck mal von einem regelmäßigen Besucher gefragt. Ganz so ist es nicht. Und mit Gisela Sikora, Elke Hanitzsch und Uli Sandhof gibt es noch drei weitere Kirchenführer, die dieses Ehrenamt ebenfalls gern und gut ausüben. Von Anfang Mai – am 1. findet stets der Feuerwehrgottesdienst statt – bis Mitte Oktober öffnen sie die Kirche, die an der Straße der Romanik liegt und als Radfahrerkirche bekannt ist, dienstags bis sonnabends von 10 bis 16 Uhr. Außerhalb dieser Zeiten auf Anfrage.
Pfarrer Manfred Kiel ist froh, die Kirchenführer zu haben. „Ohne sie wäre die Öffnung der Kirche über so einen langen Zeitraum im Jahr gar nicht möglich. Und das besondere ist tatsächlich, dass die Kirche nicht nur offen ist, sondern die Besucher auch viele Informationen bekommen. Das schaffen manche Städte nicht.“
Manchmal genießt auch Karin Froreck einfach nur die Ruhe, welche die Kirche bietet. Zu ihrem 50. Geburtstag hatte sie sich übrigens ihren Wunsch erfüllt und sich taufen lassen. „Johannes“, ihr Lieblingsengel, spielte dabei natürlich eine wichtige Rolle. Angst wie früher, dass die Schönhauser darüber erzählen könnten, was sie in der Kirche möglicherweise nicht richtig macht, kennt sie heute nicht mehr. Sie weiß, was sie kann und macht das mit viel Enthusiasmus gern. Und damit ihr Wissen nicht verloren geht, hat sie so manchen Hefter mit ihren Notizen gefüllt.
©Andrea Schröder