Anhalt Dessau
Hilfe für jene, die oft keine erfahren
Christiane Schreiber
Rentnerin engagiert sich seit Jahren für andere Menschen
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Sophia Seifer
Christine Schreiber hat ihr Leben der sozialen Arbeit und dem ehrenamtlichen Engagement gewidmet. Seit 2018 arbeitet sie in der Bahnhofsmission in Dessau. Sie möchte als Alltagshelferin bezeichnet werden, als Heldin sieht sie sich selbst nicht.
Sich für andere zu engagieren, gehöre schon viele Jahre zu ihrem Alltag, sagt sie: „Die soziale Arbeit war mein Leben.“ Die 72-Jährige arbeitet seit 2018 einmal pro Woche ehrenamtlich in der Bahnhofsmission Dessau. „Ich möchte weitermachen, solange es geht“, sagt die Seniorin.
Bis zur Wende hat Schreiber als Forschungslaborantin für die Magnetbandfabrik in Dessau gearbeitet. Nach dem Mauerfall musste sie sich eine neue Arbeit suchen, da der Forschungsbereich sowie auch die Fabrik Anfang 1990 geschlossen wurden.
Ein Leben für die Sozialarbeit
Ihr war aber klar, dass ihr der Umgang mit Menschen liegt und sie entschied sich deshalb dafür, in Wolfen eine Umschulung zur Heilerziehungspflegerin zu machen. Seitdem ist sie immer im sozialen Bereich tätig gewesen. In den 2000ern hat sie im Verein für Straffälligen- und Gefährdetenhilfe in Bitterfeld-Wolfen gearbeitet und dort unter anderem Häftlinge in Gefängnissen in Halle und in Eisleben betreut. Ein bis zwei Mal im Monat besuchte sie die Insassen und unterhielt sich mit ihnen. Viele hatten schwierige Verhältnisse oder auch gar keinen Kontakt mehr mit Angehörigen, Ehepartnern oder Freunden. Schreiber wurde oft gebeten, zu versuchen, diese Kontakte wieder aufzubauen und das Gespräch mit ihnen zu suchen - eine Aufgabe, die sie freiwillig übernommen hat. Das sei der Beginn ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten gewesen, sagt die Dessauerin.
Die Versuche Kontakt zu den Angehörigen der Inhaftierten aufzunehmen, seien nicht immer von Erfolg gekrönt gewesen, bemerkt Schreiber. Ein junger Mann, den sie betreut hat, hatte schon öfter in Haft gesessen und wollte nach seiner Freilassung wieder zurück zu seinen Eltern. Schreiber hat mit beiden gesprochen, „aber ich bin nicht weit gekommen“, erinnert sie sich. Die Eltern seien schon zu oft von ihrem Sohn enttäuscht worden und wollten keinen Kontakt mehr. „Ich habe dann immer gedacht, ich habe ja auch eine Familie, eine Tochter. Und dann habe ich mich gefragt: Was ist da passiert, dass es keine familiäre Bindung mehr gibt?“ Solche und ähnliche Begegnungen hätten Schreiber aber nicht entmutigt. Ganz im Gegenteil sei das für sie ein Antrieb gewesen: Sie habe immer wieder versucht, dazwischen zu gehen, Kontakte herzustellen.
An einen Fall, bei dem das funktioniert habe, erinnert sich Schreiber besonders. Ende der 2000er Jahre hat sie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband im ambulant betreuten Wohnen für Suchtkranke gearbeitet. Dort half sie Betroffenen dabei, eigene Wohnungen zu finden, unterstützte bei Umzügen und bei allerlei anderen Dingen. Einen Mann, der auch körperlich eingeschränkt war, hat Schreiber sehr lange begleitet. Sie hat ihn, nachdem sie eine Wohnung für ihn gefunden hatten, oft besucht, ist mit ihm einkaufen gefahren und hat ihm auch geholfen, das Verhältnis zu seinen Töchtern zu verbessern. Sie hätten dann als Familie wieder gemeinsam Weihnachten gefeiert. Für die Menschen, die Christine Schreiber betreut hat, wäre immer klar gewesen, dass sie sich ihrer Probleme annehmen würde: „Frau Schreiber kümmert sich“, hätten sie immer gesagt.
Am Wochenende in der Bahnhofsmission
Und so kümmert sie sich auch heute noch: Als Rentnerin verbringt sie jetzt viel Zeit mit ihren beiden Enkeln, aber sie freut sich auch immer schon am Wochenende auf ihren Arbeitstag in der Bahnhofsmission. Hier komme es darauf an, niemanden zu bevorzugen, zu jedem freundlich zu sein und jedem zuzuhören. Menschen, die in die Bahnhofsmission kommen, brauchen Hilfe bei finanziellen Problemen, benötigen Essens- oder Kleiderspenden oder suchen einfach nur Gesellschaft. Die Dankbarkeit, die ihr die Menschen entgegenbringen, bedeute ihr sehr viel. Wenn sie jemandem etwas erklären kann und die Person dann sagt: „Das habe ich nicht gewusst!“, spürt sie, dass ihre Hilfe wichtig ist. Auf die Frage hin, ob Christine Schreiber nicht einmal ruhiger treten will, verneint sie. „Ich kann auch nicht einfach nur drinnen sitzen“, lacht sie. Sie wolle sich weiter ehrenamtlich engagieren - so lange sie kann.
©Thomas Ruttke