Salzland
Für andere da: Anpacken statt wegsehen
Michael Körner
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Juliane Graichen, Projektleiterin
Foto: Denny Kleindienst
Engagierter Helfer im vergessenen Krieg
Enrico Joo
Vasyl ist ein zuvorkommender junger Mann. Leise schleicht sich der 18-Jährige von der Seite an, er will das Gespräch nicht stören. Die Hände hat er aneinandergelegt. „Willst du einen Kaffee?“, fragt er den 55-jährigen Michael Körner, der da bei ihm zu Hause auf der Couch sitzt. „Ja, gern.“ „Sugar? Black?“ Es ist ein kleines sprachliches Kauderwelsch, das da bei Familie Beresh in der Lehrter Straße in Staßfurt zusammenkommt. Aber Vasyl besteht darauf, dass Deutsch gesprochen wird. Er lernt die schwere Sprache gerade bei der Urania. Und ist nach kurzer Zeit schon recht fit darin.
Vasyl kommt aus der Ukraine und ist mit seiner Familie vor dem Krieg geflüchtet. Zusammen mit seiner kleinen Schwester und seinen blinden Eltern wohnt er in Staßfurt. Die Wohnung ist gut eingerichtet, auch dank Michael Körner und seiner Helfer. Körner ist ein Mann, der zupackt. Der Leute umarmt, ihnen die Hand reicht. In Staßfurt kennen die meisten Ukrainer Michael Körner. Er ist der Mann, der sich um Wohnungen kümmert, sie einrichtet, Spenden sammelt. Und das schon seit über zwei Jahren. Er hilft den vor dem Krieg Geflüchteten. Geld bekommt er dafür natürlich nicht. Sein Ehrenamt ist Herzenssache. Dafür hat er auch einen Verein gegründet: „Baris-Brücker mit Herz“. Hier zeigt sich auch, dass Körner ja gar nicht aus Staßfurt kommt. Er wohnt im 4.000-Einwohner-Ort Brück, 35 Kilometer südwestlich von Potsdam, gebürtig kommt er aus Bremen. Aber er hilft in Sachsen-Anhalt Familien in Staßfurt, Magdeburg oder Hornhausen bei Oschersleben. Anfangs ist er dafür täglich die 130 Kilometer und zurückgefahren.
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Im tiefen Winter im Januar half Michael Körner in Charkiw. Seit über zwei Jahren organisiert er Sachspenden sowie Transporte und hilft beim Einrichten der Wohnungen.
Weniger Spenden für Ukraine
Warum? „Bei Kriegsbeginn saß ich vor dem Fernseher und hatte Tränen in den Augen“, erzählt er. Er hat einen Cousin, der mit einer Ukrainerin verheiratet ist. „Ich fragte ihn: Was können wir tun?“ Dessen Sohn meldete sich, um Geflüchtete aus der Ukraine zu holen, Körner organisierte Spendengüter. Alles ging sehr schnell. Spontan fuhr Körner mit. An der polnisch-ukrainischen Grenze fand die Übergabe statt. Drei Tage später ging es wieder los. Gerade die ersten Tage und Wochen waren sehr aufregend. Tag und Nacht war er erreichbar, war der erste Ansprechpartner für alle Probleme. Wenn das Klo verstopft war, wenn Lampen angebracht werden mussten. „Am Anfang war ich 20 Stunden am Tag im Einsatz, an Schlaf war gar nicht zu denken“, erzählt Körner. Über 100 Geflüchtete betreut er, davon etwa 50 allein in Staßfurt.
Derzeit sammelt Körner Spenden, um wie im vergangenen Jahr Weihnachtsgeschenke für ukrainische Kinder kaufen zu können. In der Weihnachtszeit will Körner dann selbst in die Ukraine fahren, um dort mit einem weiteren Helfer als Weihnachtsmann und Elf die Geschenke zu überreichen. Im vergangenen Jahr waren es 1.000 Geschenke für 1.000 Kinder. So viele sollen es auch diesmal werden: Malbücher, Süßigkeiten, Spielzeug. All das wird gesammelt.
Wie oft Körner seit 2022 in der Ukraine war? Er seufzt. „Das kann ich nicht mehr zählen“, sagt er. Über zwei Jahre später ist seine Leidenschaft nicht erkaltet. Noch immer setzt er sich mit voller Kraft für Ukrainer ein. Statt Wohnungseinrichtungen sind es nun vor allem Spendentransporte, die er organisiert. Medizin, Hygieneartikel oder haltbare Lebensmittel werden bis heute dringend gebraucht.
Aber: Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung ist mittlerweile sehr gering, die Stimmung hat sich gewandelt. Oft es ist schwer, die Transporte überhaupt finanziell zu stemmen. „Früher kostete ein Transport in die Ukraine 3.500 Euro, jetzt bis zu 10.000 Euro“, sagt Körner. Es sind vor allem die Einreisen der Lkw, die viel Geld kosten.
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Michael Körner (l.) hilft in Staßfurt zusammen mit Michael Wappner und Katja Shalya auch beim Lampenanbauen in Wohnungen von Geflüchteten.
In Staßfurt alles organisiert
Dass Körner mit seiner Hilfsbereitschaft in Staßfurt gelandet ist, hat viel mit seinem Hobby zu tun. Körner ist großer Fan des 1. FC Magdeburg, hatte auch eine Dauerkarte. „Da bin ich bei einem Spiel mit einem Vermieter aus Staßfurt ins Gespräch gekommen“, erzählt Körner. Dieser hatte ihn dann in die Salzstadt vermittelt. „Wenn ich kein FCM-Fan wäre, wäre ich nicht nach Staßfurt gekommen.“ Baris Atik ist sein Lieblingsspieler beim FCM. Baris ist zudem türkisch und heißt Frieden. Daher auch der Vereinsname „Baris-Brücker mit Herz“. Für Staßfurt hat Michael Körner nur warme Worte. Vor allem für die Integrationsbeauftragte Sylvia Götze. „Ich habe sie erstmals getroffen, als wir zusammen eine Wohnung eingerichtet haben. Sie nimmt mir so viel ab“, sagt er. „Das ist einmalig, was hier in Staßfurt auf die Beine gestellt wird. Es ist ein wahnsinnig tolles Netzwerk, das ’Willkommensbündnis’ entstanden, alles ist durchorganisiert. Ich ziehe da jeden Tag meinen Hut. So etwas habe ich deutschlandweit noch nicht erlebt.“
Und er muss das wissen, er ist schon viel herumgekommen. Erst im Januar war er wieder zwei Wochen in der Region um Charkiw in der Ost-Ukraine, die in diesen Tagen sehr hart umkämpft ist. Vorher war er auch in Kiew. „Dort gibt es ein normales Leben. Der Krieg ist im ersten Moment gar nicht spürbar“, so Körner. Aber es kann schnell gehen. „Wenn es Luftalarm gibt, dann hat man nur ein paar Minuten Zeit, um in die U-Bahn oder einen Luftschutzbunker zu flüchten.“ In Kiew war eine Rakete in ein Shopping-Center eingeschlagen, indem er eine Woche davor noch einen Kaffee getrunken hatte.
Acht Mal am Tag Luftalarm
Besonders ist die Situation rund um Charkiw. Die Straßen dahin sind wegen der Panzer kaputt. Bei minus 17 Grad musste er eine Notwerkstatt ansteuern, um einen kaputten Reifen kleben zu lassen. Angekommen im kleinen Ort Mizyaky bei Charkiw spielte er Weihnachtsmann und überbrachte jedem Kind ein Geschenk mit Namen. Während rundherum Krieg herrscht und Körner permanent mit Schutzweste unterwegs ist. „Dort gibt es acht Mal am Tag Luftalarm. Die Menschen leben damit“, erzählt Körner. Isjum mit etwa 45.000 Einwohnern sehe aus wie Butscha. „Es gibt dort Massengräber. 70 Prozent der Stadt sind plattgemacht. Die Russen haben dort spielende Kinder erschossen, weil sie Spaß daran hatten.“
Er bedauert, dass der Krieg in der Ukraine ein bisschen aus dem Blickfeld geraten ist. Denn noch immer gibt es dort jeden Tag Leid, jeden Tag Tote, Trauer und Tränen. Und Körner glaubt, dass das bald zu neuen Entwicklungen führt. „Ich rechne mit einer neuen Flüchtlingswelle“, sagt er. Selbstverständlich wird Michael Körner dann wieder mit Rat und Tat zur Seite stehen. Egal, was passiert, er hilft, weil er es möchte. Und weil er will, dass die Ukrainer in Deutschland nach dem Leid in der Heimat ein besseres Leben haben.
©Michael Körner/ Enrico Joo